Veröffentlicht am: 18.12.2024
Lesedauer: 3 Minuten
Communities of Practice - erleben wir 2025 eine Wiedergeburt?
Mein Kollege und Freund Nigel Paine hat zuletzt bei LinkedIn diese Frage gestellt.
Meiner Erfahrung nach haben Communitys of Practice, wie sie E. Wenger in seinem Buch „Communities of practice: Learning, meaning and identity“ bereits 1998 beschrieben hat, großes Potenzial für den Wissensaustausch zwischen Experten und für die Entwicklung neuer Kenntnisse und Einsichten durch den Diskurs. Einsichten, die in erster Linie den Community-Mitgliedern selbst zugutekommen. Meiner Erfahrung nach ist die Erweiterung der persönlichen Netzwerke für viele Community-Mitglieder oft ebenso wichtig und ein wichtiges Motiv für die Mitgliedschaft.
Ich selbst hatte Anfang der 1990er Jahre einen kurzen Einblick in eine US-amerikanische Community. Sie wurde vom Western Behavioural Science Institute in La Jolla, Kalifornien, gegründet und firmierte bis 2012 unter dem Namen ILF (The International Leadership Forum). Es handelte sich um einen amerikanischen, überparteilichen, internetbasierten Think Tank, der sich aus führenden Persönlichkeiten oft auch aus der Politik zusammensetzte. Die Teilnehmer des Forums nahmen an politischen Online-Foren teil, um die wichtigsten Themen der globalen Gesellschaft zu diskutieren.
Die Gemeinschaft arbeitete in erster Linie als interner Zirkel und entfaltete ihre gesellschaftliche Wirkung durch ihre einzelnen Mitglieder, von denen einige sehr prominent waren. Zu den Teilnehmern gehörten der ehemalige US-Botschafter bei der NATO Harlan Cleveland, die Anthropologin Mary Catherine Bateson, der Psychoanalytiker Douglass Carmichael, der Wirtschaftswissenschaftler und Politikwissenschaftler Charles Lindblom aus Yale und auch Personen aus Kunst und Kultur.
Ob in dieser Gemeinschaft auch kollektive Meinungsbildungsprozesse stattfanden, die dann als gemeinsame Standpunkte nach außen kommuniziert wurden, kann ich meines Wissens weder bestätigen noch verneinen. Die Funktionsweise des Forums lässt jedoch vermuten, dass es in erster Linie dazu diente, den Mitgliedern eine Plattform für den internen Austausch zu bieten, die es ihnen ermöglichte, ihre persönliche Position weiterzuentwickeln.
Einige Jahre später, Ende der 1990er Jahre, hatte ich die Gelegenheit zusammen mit Peter Franklin, der heute an der Hochschule Konstanz lehrt, gemeinsam die Community www.dialogin.com auf- und auszubauen. Dank des hohen persönlichen Engagements von Peter Franklin wurde diese Community zu einem großen internationalen Erfolg. Hunderte Experten, die sich mit dem Thema interkulturelle Kompetenz beschäftigten, waren darin „organisiert“. Viele Manager, die sich als sogenannte „expats“ im Ausland befanden, waren Interessierte und gleichzeitig wichtige Quellen für das Erfahrungswissen, das sie in ihren Funktionen in den unterschiedlichen kulturellen Rahmenbedingungen gesammelt hatten. Eine wunderbare Synergie ist entstanden, die mehr als ein Jahrzehnt Bestand hatte. Dann aber zerbrach die Community leider an Finanzierungsproblemen. Technik und auch redaktionelle und moderierende Arbeit brauchen eben Geld!
Einige Zeit nach der Gründung von www.dialogin.com hatte ich eine zweite Gelegenheit zum Aufbau einer Community: Im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung in Deutschland erarbeitete ich mit meinem Team das Konzept für eine Wissensgemeinschaft. Wir haben sie auch technisch gebaut und viele Jahre redaktionell und mit moderierenden Leistungen begleitet. Sie existiert bis heute. Fast 20 Jahre hieß sie www.foraus.de, heute firmiert sie unter dem Namen www.leando.de. Sie war und ist eine Plattform für Ausbildungspersonal, Personalverantwortliche und Bildungsexperten aus Schulen, Hochschulen und der Wirtschaft. Unser Ziel war es damals, diesen Zielgruppen die Möglichkeit zu bieten, sich auf unterschiedliche Weise u.a. über den neuesten Stand in der Bildungsforschung zu informieren und in verschiedenen Themenforen miteinander in den Dialog zu treten. Dabei ging es uns in erster Linie darum, den Wissensaustausch zu fördern.
Das Konzept ist in mancherlei Hinsicht aufgegangen. Der Austausch von Informationen ist eine davon. Einen nachhaltigen, sich selbst tragenden Diskurs zu organisieren, war weitaus schwieriger. Ich möchte hier drei Erfahrungen teilen, die aus meiner Sicht für den Erfolg virtueller Gemeinschaften ganz generell wichtig sind :
1. Wissensgemeinschaften und ihre Foren müssen aktiv moderiert werden, d.h. sie brauchen Menschen, die den Diskurs sozusagen als primus inter paris „vorantreiben“ und den Aktivitäten innerhalb der Community Richtung, Struktur und Rhythmus geben.
2. Die informationellen Elemente, die als Teil einer Community zu verstehen sind, brauchen redaktionelle Betreuung. Auch hier werden Personen benötigt, die sich besonders engagieren und regelmäßig dafür sorgen, dass die notwendige Informationsbasis recherchiert, kuratiert, aufbereitet und gepflegt wird.
3. Grundlegendes Vertrauen in die Integrität der Betreiber und auch der Mitglieder ist eine zwingende Voraussetzung für die Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder und ihre Bereitschaft ihr Wissen zu teilen.
In meinem neuen Buch "Von Lernorten zu KI-gestützten Lernräumen" beschreibe ich mehr meiner Erfahrungen mit Communities of Practice. Bei Interesse finden sie es hier: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-44729-8?sap-outbound-id=6221147C8C8B50C6A49686B42CE0A7C88FFBA4EA
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Meiner Erfahrung nach haben Communitys of Practice, wie sie E. Wenger in seinem Buch „Communities of practice: Learning, meaning and identity“ bereits 1998 beschrieben hat, großes Potenzial für den Wissensaustausch zwischen Experten und für die Entwicklung neuer Kenntnisse und Einsichten durch den Diskurs. Einsichten, die in erster Linie den Community-Mitgliedern selbst zugutekommen. Meiner Erfahrung nach ist die Erweiterung der persönlichen Netzwerke für viele Community-Mitglieder oft ebenso wichtig und ein wichtiges Motiv für die Mitgliedschaft.
Ich selbst hatte Anfang der 1990er Jahre einen kurzen Einblick in eine US-amerikanische Community. Sie wurde vom Western Behavioural Science Institute in La Jolla, Kalifornien, gegründet und firmierte bis 2012 unter dem Namen ILF (The International Leadership Forum). Es handelte sich um einen amerikanischen, überparteilichen, internetbasierten Think Tank, der sich aus führenden Persönlichkeiten oft auch aus der Politik zusammensetzte. Die Teilnehmer des Forums nahmen an politischen Online-Foren teil, um die wichtigsten Themen der globalen Gesellschaft zu diskutieren.
Die Gemeinschaft arbeitete in erster Linie als interner Zirkel und entfaltete ihre gesellschaftliche Wirkung durch ihre einzelnen Mitglieder, von denen einige sehr prominent waren. Zu den Teilnehmern gehörten der ehemalige US-Botschafter bei der NATO Harlan Cleveland, die Anthropologin Mary Catherine Bateson, der Psychoanalytiker Douglass Carmichael, der Wirtschaftswissenschaftler und Politikwissenschaftler Charles Lindblom aus Yale und auch Personen aus Kunst und Kultur.
Ob in dieser Gemeinschaft auch kollektive Meinungsbildungsprozesse stattfanden, die dann als gemeinsame Standpunkte nach außen kommuniziert wurden, kann ich meines Wissens weder bestätigen noch verneinen. Die Funktionsweise des Forums lässt jedoch vermuten, dass es in erster Linie dazu diente, den Mitgliedern eine Plattform für den internen Austausch zu bieten, die es ihnen ermöglichte, ihre persönliche Position weiterzuentwickeln.
Einige Jahre später, Ende der 1990er Jahre, hatte ich die Gelegenheit zusammen mit Peter Franklin, der heute an der Hochschule Konstanz lehrt, gemeinsam die Community www.dialogin.com auf- und auszubauen. Dank des hohen persönlichen Engagements von Peter Franklin wurde diese Community zu einem großen internationalen Erfolg. Hunderte Experten, die sich mit dem Thema interkulturelle Kompetenz beschäftigten, waren darin „organisiert“. Viele Manager, die sich als sogenannte „expats“ im Ausland befanden, waren Interessierte und gleichzeitig wichtige Quellen für das Erfahrungswissen, das sie in ihren Funktionen in den unterschiedlichen kulturellen Rahmenbedingungen gesammelt hatten. Eine wunderbare Synergie ist entstanden, die mehr als ein Jahrzehnt Bestand hatte. Dann aber zerbrach die Community leider an Finanzierungsproblemen. Technik und auch redaktionelle und moderierende Arbeit brauchen eben Geld!
Einige Zeit nach der Gründung von www.dialogin.com hatte ich eine zweite Gelegenheit zum Aufbau einer Community: Im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung in Deutschland erarbeitete ich mit meinem Team das Konzept für eine Wissensgemeinschaft. Wir haben sie auch technisch gebaut und viele Jahre redaktionell und mit moderierenden Leistungen begleitet. Sie existiert bis heute. Fast 20 Jahre hieß sie www.foraus.de, heute firmiert sie unter dem Namen www.leando.de. Sie war und ist eine Plattform für Ausbildungspersonal, Personalverantwortliche und Bildungsexperten aus Schulen, Hochschulen und der Wirtschaft. Unser Ziel war es damals, diesen Zielgruppen die Möglichkeit zu bieten, sich auf unterschiedliche Weise u.a. über den neuesten Stand in der Bildungsforschung zu informieren und in verschiedenen Themenforen miteinander in den Dialog zu treten. Dabei ging es uns in erster Linie darum, den Wissensaustausch zu fördern.
Das Konzept ist in mancherlei Hinsicht aufgegangen. Der Austausch von Informationen ist eine davon. Einen nachhaltigen, sich selbst tragenden Diskurs zu organisieren, war weitaus schwieriger. Ich möchte hier drei Erfahrungen teilen, die aus meiner Sicht für den Erfolg virtueller Gemeinschaften ganz generell wichtig sind :
1. Wissensgemeinschaften und ihre Foren müssen aktiv moderiert werden, d.h. sie brauchen Menschen, die den Diskurs sozusagen als primus inter paris „vorantreiben“ und den Aktivitäten innerhalb der Community Richtung, Struktur und Rhythmus geben.
2. Die informationellen Elemente, die als Teil einer Community zu verstehen sind, brauchen redaktionelle Betreuung. Auch hier werden Personen benötigt, die sich besonders engagieren und regelmäßig dafür sorgen, dass die notwendige Informationsbasis recherchiert, kuratiert, aufbereitet und gepflegt wird.
3. Grundlegendes Vertrauen in die Integrität der Betreiber und auch der Mitglieder ist eine zwingende Voraussetzung für die Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder und ihre Bereitschaft ihr Wissen zu teilen.
In meinem neuen Buch "Von Lernorten zu KI-gestützten Lernräumen" beschreibe ich mehr meiner Erfahrungen mit Communities of Practice. Bei Interesse finden sie es hier: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-44729-8?sap-outbound-id=6221147C8C8B50C6A49686B42CE0A7C88FFBA4EA
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